Konsumentenschutz zeigt sieben Ärzte an

Streit um Abrechnungen. Rheumatologen sollen an der Zürcher Klinik im Park eine Untersuchung systematisch falsch abgerechnet haben. Die Gesundheitsdirektion stellte Fehler fest, liess aber Milde walten. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Roland Gamp

21.01.2022

Gerade einmal 50 Franken und 30 Rappen beträgt die Rechnung. Ein unverdächtiger Betrag. Trotzdem wird Empfänger Martin Müller, wie wir ihn hier nennen wollen, misstrauisch.

Im Herbst 2019 unterzog sich der Senior an der Zürcher Klinik im Park, die zur Hirslanden-Gruppe gehört, einer Knochendichtemessung. Ein Standardverfahren, um zum Beispiel eine Osteoporose frühzeitig zu erkennen. Laut dem Branchenverband Santésuisse führen Ärzte und Spitäler ambulant jährlich rund 100’000 Untersuchungen durch, wie sie auch Müller erhielt.

Keine aussergewöhnliche Sache also, auch die 50 Franken scheinen dem Rentner anfangs angemessen. Doch dann bemerkt er auf Unterlagen seiner Krankenkasse, dass auch diese eine Rechnung des Rheumatologen erhielt – für die gleiche Leistung.

«Widerspricht Tarifschutz»

Müller beschwert sich beim behandelnden Arzt. Dieser schickt dem Senior in der Folge ein Aufklärungsblatt. Man habe leider vergessen, ihm dieses vorzulegen. Normalerweise werden Patientinnen und Patienten durch das Schreiben wie folgt informiert: «Für eine sichere Diagnose und zuverlässige Therapieempfehlung muss die Knochendichte nicht nur an einer, sondern an mindestens zwei verschiedenen Regionen gemessen werden.» Die Krankenkasse allerdings müsse nur für den ersten Messpunkt aufkommen. Für den zweiten könnte ein «Selbstbehalt von 50.30 Fr.» anfallen.

Sieben Ärzte sind auf dem Aufklärungsblatt aufgeführt. Doch Müller bleibt skeptisch. Er war selber lange Arzt und weiss, wo er nachschauen muss: im offiziellen Tarifsystem Tarmed.

In diesem ist festgehalten, dass eine entsprechende Knochendichtemessung «unabhängig der Anzahl Messungen und Messstellen» abgegolten wird. Eine Tarifexpertin der Tarif- suisse AG schreibt zudem auf Anfrage des Seniors: «Die Klinik darf Ihnen nicht einfach eine weitere Rechnung zustellen. Das widerspricht dem Tarifschutz, der in der Schweiz für alle Leistungserbringer gilt.»

Nur halten sich viele Ärzte und Spitäler offenbar nicht daran. Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) hat 2020 zum Beispiel den Markt der Zusatzversicherungen eingehend kontrolliert. Sie fand Hinweise zu Doppelverrechnungen und überhöhten Hotelleriekosten. Zudem gab es laut Finma-Communiqué Beispiele, «in denen rund 40 Ärztinnen und Ärzte Honorare bei einem Patienten geltend machten, ohne dass dies begründet worden wäre».

Klinik ändert die Praxis

Für Gesundheitsökonom Heinz Locher ist der aktuelle Fall sinnbildlich. «Es braucht unbedingt Patienten, die ihre Abrechnungen kritisch hinterfragen.» Leider seien diese oft so formuliert, dass sie für Laien nicht nachvollziehbar seien. «Es braucht mehr Transparenz für die Kunden», sagt Locher. «Denn die Kassen selber zeigen leider kaum Interesse, genau hinzuschauen.»

Martin Müller legt die Einschätzung der Tarifexpertin im November 2020 seinem Rheumatologen vor. Dieser antwortet, man nehme die Sache ernst und lasse dies abklären. Im Januar 2021 schreibt er dem Patienten erneut. Man habe sich mit Tarifspezialisten ausgetauscht. «Da wir um eine korrekte Verrechnung bemüht sind», stelle man künftig keinen zweiten Messpunkt mehr in Rechnung bei Fällen, «bei denen der Tarifschutz gültig ist». Die bisherige Praxis begründet der Arzt mit einem Schreiben von Santésuisse aus dem Jahr 2011.

Das Papier liegt dieser Zeitung vor. Santésuisse prüfte damals tatsächlich entsprechende Rechnungen, rügte dann aber nur die Codierung. Die Abrechnungspraxis bei den Knochendichtemessungen an sich wurde im Schreiben nicht beanstandet.

Für Patient Müller ist die Sache im Januar 2021 jedoch nicht abgeschlossen. Er wendet sich an die Zürcher Gesundheitsdirektion (GD). Diese nimmt die Klinik in der Folge unter die Lupe. Wobei die Abklärungen ergeben, dass die «Abrechnung von mehreren Messstellen pro Fall nicht zulässig war». Dennoch sehe man von der Einleitung aufsichtsrechtlicher Schritte ab. Schliesslich habe Santésuisse damals 2011 nicht explizit auf den Tarifschutz hingewiesen. Man ersuche jedoch den Rheumatologen, «dass er in Kenntnis der Rechtslage die Knochendichtemessungen den Patienten und Patientinnen künftig korrekt in Rechnung stellt», so die GD.

Anwalt bestreitet Vorwürfe

Abgeschlossen ist der Fall aber auch damit nicht. Müller wendet sich in einem letzten Schritt an die Stiftung für Konsumentenschutz. Diese hat nun Strafanzeige wegen Verdachts auf Betrug eingereicht gegen den Rheumatologen, allenfalls auch gegen die weiteren Ärzte, die auf dem «Aufklärungsblatt» vermerkt sind. Mit diesem würden Patienten «offensichtlich falsch informiert», steht in der Anzeige. Es handle sich nicht um einen Einzelfall, sondern um «systematisches Vorgehen».

Thomas Fingerhuth, der die betroffenen Rheumatologen vertritt, weist die Vorwürfe zurück. «Die Ärzte liessen schon 2011 Abrechnungen von Santésuisse kontrollieren und wurden nicht auf Fehler hingewiesen.» Allein dieses Engagement zeige, dass keine böswillige Absicht vorliege. Auch dass die Gesundheitsdirektion Zürich keine aufsichtsrechtlichen Schritte eingeleitet habe, spreche für seine Mandanten. «Ich bin überzeugt, dass man niemanden absichtlich abzocken wollte», so Fingerhuth.

Martin Müller hofft, dass die Anzeige der Stiftung für Konsumentenschutz nun Klarheit bringt: «Die entscheidende Frage ist doch, wie oft man so vorging», sagt er. Vielleicht gehe es am Ende eben doch um mehr als nur um 50 Franken.

Erste Anhaltspunkte geben Daten einer grossen Schweizer Krankenkasse. Diese hat auf Anfrage ihr System durchsucht und fand dabei seit dem Jahr 2012 insgesamt 1183 entsprechende Fälle, in denen die Klinik-Patienten jene Leistung aus der eigenen Tasche bezahlten. Das entspricht einer Summe von knapp 60’000 Franken.

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