Krankenkassen rechnen mit Anstieg der Prämien um über 10 Prozent
Die Ausgaben für Apotheken, ambulante Spitalbehandlungen und Laboranalysen sind im Januar und Februar deutlich gestiegen. Darüber berichtete u.a. auch die Tagesschau SRF1 und der Zürcher-
Gesundheitskosten: 2023 dürfte es für die Versicherten markant teurer werden. Politik, Krankenkassen und Ärzteschaft suchen nach einem Gegenmittel.
Markus Brotschi
9.4.2022 Die glücklichen Jahre der Nullrunden bei den Krankenkassenprämien sind vorbei. 2021 stiegen die Gesundheitskosten um 5,1 Prozent, und dieses Wachstum setzt sich in diesem Jahr unvermindert fort. Das zeigt die Statistik der ersten zwei Monate. Im Januar und Februar nahmen die Kosten gegenüber den Vorjahresmonaten um rund 5 Prozent pro Versicherten zu. Die Ausgaben für ambulante Spitalbehandlungen, Apotheken und Laboranalysen stiegen gar um über 10 Prozent.
Aus Sicht des Kassenverbandes Santésuisse sind das schlechte Nachrichten für die Prämienzahlenden. «Uns beunruhigt die Kostenentwicklung. Ohne Gegensteuer könnte der Prämienanstieg für 2023 im schlimmsten Fall im zweistelligen Bereich liegen», sagt Santésuisse-Direktorin Verena Nold. Um einen solchen Anstieg zu verhindern, brauche es Sofortmassnahmen, etwa die Senkung der Labor- oder Medikamentenpreise sowie mittelfristig die Einführung von Pauschaltarifen im ambulanten Bereich.
Mit Reserven abfedern
Wie hoch die durchschnittliche Prämienerhöhung für 2023 effektiv ausfallen wird, hängt davon ab, wie weit die Kassen den Kostenanstieg erneut mit Reserven abfedern. Bereits für dieses Jahr setzten die Versicherer Reserven ein, damit trotz des Kostenanstiegs von 2021 bei den Prämien sogar eine minimale Prämiensenkung möglich war. Deshalb ist es gut möglich, dass einige Kassen dieses Jahr ein Defizit schreiben und der Prämienanstieg für 2023 deutlich über dem zu erwartenden Kostenwachstum von 5 Prozent liegen wird.
Ein weiteres Mittel, um die Gesundheitskosten längerfristig in den Griff zu bekommen, ist für Santésuisse eine Kostenbremse in den Tarifverträgen, wie sie zurzeit im Parlament diskutiert wird: Wenn die Kosten in einem Bereich zu stark ansteigen, müssten die Tarife gesenkt werden. Das heisst, bestimmte medizinische Leistungen würden im Folgejahr geringer vergütet.
National- und Ständerat haben letztes Jahr einen entsprechenden Vorschlag von Gesundheitsminister Alain Berset noch abgelehnt. Im März nun hat die grosse Kammer die Kostenbremse auf Antrag von Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel doch ins Gesetz geschrieben. Medizinische Leistungserbringer, also Ärzte, Spitäler oder Physiotherapeuten, sollen auf ein gemeinsames Monitoring verpflichtet werden. Bei «nicht erklärbaren Mengen-, Volumen- und Kostenentwicklungen» müssen Korrekturmassnahmen einsetzen. Kostenanstiege, die auf den medizinischen Fortschritt, Demografie oder andere begründbare Faktoren zurückgingen, hätten keine Tarifkürzungen zur Folge, versichert Berset.
Die Verbindung der Ärztinnen und Ärzte FMH bekämpft die Kostenbremse jedoch vehement und dürfte das Referendum ergreifen – mit guten Chancen in der Volksabstimmung. Die FMH warnt vor einer Rationierung medizinischer Leistungen und Unterversorgung, wenn den Ärztinnen und Ärzten die Tarife gekürzt würden. Denn eine solche Massnahme treffe nicht nur Einzelne, die tatsächlich zu viele Leistungen verschrieben, sondern auch die überwiegende Mehrheit, die ihre Patienten richtig behandle.
Droht ein Staatstarif?
FMH-Präsidentin Yvonne Gilli warnte kürzlich in der Ärztezeitung vor einem «Staatstarif». Denn würden sich Kassen und Leistungserbringer nicht auf das Monitoring und die Korrekturmassnahmen einigen, müssten laut Gesetz der Bundesrat oder die Kantone Tarife verordnen.
Bemerkenswerter als der Widerstand der FMH ist, dass Curafutura, der zweite Kassenverband, dem die Branchenriesen Helsana und CSS angehören, die Kostenbremse mit ähnlichen Argumenten bekämpft. Kostenziele und Massnahmen zur Steuerung der Kosten würden un- weigerlich zu einer stärkeren Verstaatlichung und Zentralisierung des Gesundheitswesens führen, sagt Curafutura-Direktor Pius Zängerle.
Gegenüber den Kostenwarnungen von Santésuisse zeigt sich Zängerle gelassen. «Die Zahl von 5,1 Prozent scheint einige Kommentatoren in helle Aufregung versetzt zu haben.» Angst und Panik seien jedoch fehl am Platz. Über den Zeitraum der letzten zehn Jahre seien die Gesundheitskosten im Schnitt um 2,5 Prozent gestiegen, was sogar unter dem von einer bundesrätlichen Expertengruppe formulierten Zielwert liege.
Als eines der Mittel gegen den Kostenanstieg propagiert Zängerle andere beschlussreife Reformen – vor allem den von Curafutura und FMH gemeinsam erarbeiteten ambulanten Tarif Tardoc. Dieser soll den veralteten Tarmed ersetzen und liegt seit bald drei Jahren beim Bundesrat zur Genehmigung.
Dass das neue Tarifwerk ein Rezept ist, um die Kosten in den Griff zu bekommen, davon liess sich der Bundesrat bisher noch nicht überzeugen. Im Sommer 2021 wies er den Tarif zur Nachbesserung zurück, weil dieser Mehrkosten in Milliardenhöhe verursache. Auch Santésuisse hält den Tardoc für kostentreibend. Mittlerweile haben FMH und Curafutura nachgebessert und hoffen auf eine Einführung auf 2023.
Ball liegt bei Berset
Noch länger dürfte es dauern, bis eine allfällige Kostenbremse greift. Die Gesundheitskommission des Ständerates hat den Ball ans Departement Berset zurückgespielt. Berset soll eine Lösung präsentieren, die auch für die FMH akzeptabel ist. Kassen und medizinische Leistungserbringer sollen zwar verpflichtet werden, die tarifliche Kostenbremse zu vereinbaren. Im Falle einer Nichteinigung soll der Bundesrat aber keine Tarifkürzungen verordnen können.
Humbel, deren Partei per Volksinitiative eine Kostenbremse verlangt, hält eine solche ohne die Tarifkompetenz für den Bundesrat für zahnlos. Falls sich die Ärzteschaft mit den Kassen nicht auf kostendämpfende Massnahmen einige, passiere nichts. Für Modifikationen sieht Humbel jedoch durchaus Spielraum. So könnte die Kompetenz des Bundesrates für einen Tarifeingriff klar eingegrenzt werden. «Der Bundesrat sollte nicht einfach eine «Carte blanche» für einen solchen Eingriff haben.»
So will die Gesundheitskommission Kosten senken
Zu den Gesundheitskosten sind derzeit auch zwei Volksinitiativen hängig: die Kostenbremse-Initiative der Mitte und die Entlastungs-Initiative der SP. Letztere verlangt, dass niemand mehr als zehn Prozent seines verfügbaren Einkommens für Prämien der Grundversicherung bezahlen muss. Diese Woche hat die Gesundheitskommission des Nationalrats über die zwei Initiativen beraten. Zu beiden will sie einen Gegenvorschlag:
…..Eine Kostenbremse mit einer klaren Zielvorgabe lehnt die Kommission mit 13 zu 11 Stimmen knapp ab. Stattdessen soll das Kostenwachstum mit konkreten Massnahmen wie etwa tieferen Labortarifen gebremst werden.
…..Als Gegenvorschlag zur Entlastungs-Initiative schlägt die Kommission vor, dass die Kantone mehr für die Prämienverbilligung ausgeben müssen. Definitiv entscheiden wird sie erst an ihrer nächsten Sitzung im Mai. (sad/red)
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